- Menschen nutzen Workarounds für alltägliche Probleme. Innovatoren erkennen den wahren Bedarf hinter diesen Workarounds und entwickeln daraus Geschäftsideen.
- Ersatzlösungen richten sich an Kunden, die bisher übersehen wurden. Diese Zielgruppe ist oft anfangs so klein, dass der Markt sie ignoriert.
- Günstigere Lösungen bieten Kunden das Nötige zu einem niedrigeren Preis. Produktemacher reduzieren dafür den Umfang des Produktes.
New York, 1902: Mary Anderson steht vor einer Straßenbahn und beobachtet den Fahrer. Der Mann kämpft mit Schneeregen und Graupel, und seine Optionen sind miserabel: Entweder er lässt Kälte und Nässe in die Kabine, indem er die Windschutzscheibe öffnet, oder er stoppt regelmäßig die Bahn, steigt aus und wischt die Scheibe per Hand. Ein Dilemma, das Mary nicht mehr loslässt.
Zurück in ihrer Heimat entwirft sie den Prototyp eines Scheibenwischers und meldet ihn ein Jahr später zum Patent an – im gleichen Jahr, als Henry Ford die Ford Motor Company gründet. Zehn Jahre später sind alle in den USA hergestellten Fahrzeuge mit ihrer Erfindung ausgestattet und heutige Scheibenwischer basieren noch immer auf den Grundideen von Mary Anderson.
Warum erfand eine 36-jährige Winzerin aus Alabama den Scheibenwischer – und nicht zum Beispiel Henry Ford? Sprang dieses ungelöste und dringende Problem nicht jedem buchstäblich ins Auge? Nein, ungelöste Probleme zu sehen, ist eine Fähigkeit. Wer sie beherrscht, ist nur einen Schritt von großen und innovativen Geschäftsideen entfernt.
Ich zeige dir jetzt drei Arten von ungelösten Problem und erkläre, mit welchen Schritten du zur Lösung kommst.
Vom Markt nicht gelöste Probleme
Das von Mary Anderson beobachtete Problem der verregneten Windschutzscheiben war nicht ungelöst. Die Leute hatten einen Workaround: Ohne Verdeck fahren oder ständig aussteigen, um die Scheibe sauberzumachen.
Workarounds wirken im Nachhinein oft wie ein schlechter Witz. Vor der Erfindung der Monatsbinde, des Rollkoffers oder des Flaschenöffners mühten sich die Betroffenen mit behelfsmäßigen Lösungen ab, aber darauf angesprochen hätten sie etwas gesagt wie „Naja, es funktioniert schon“ oder „Das ist halt so.“ Und mit Recht. Wir haben nicht die Zeit, jedes ungelöste Problem in unserem Alltag anzugehen.
Hier kommen Innovatoren wie Mary Anderson ins Spiel: Sie erkennen den wahren Bedarf hinter alltäglichen Workarounds. So kommst du vom Problem zur Geschäftsidee:
- Achte auf die täglichen Unannehmlichkeiten deines Lebens. Wo behilfst du dir mit provisorischen Lösungen? Wo sind diese besonders unzureichend?
- Analysiere, welches tiefere Problem die Workarounds lösen. Stelle dafür fünf mal die Frage „Warum?“
- Überlege, wie man das Problem eigentlich lösen sollte.
Workarounds sind der Beweis dafür, dass ein echtes Problem existiert, sonst würde sich niemand die Mühe machen, es zu umgehen. Das ist eine gute Grundlage für ein Geschäftsmodell!
Die Kunden kommen nicht von allein
Der Nachteil von Workarounds ist, dass die wenigsten auf der Suche nach einer Alternative sind – du wirst also später um Werbung kaum herumkommen.
Altes Problem, besserer Ersatz
Mit einer neuen Lösung richtet man sich an Kunden, die der Markt bisher übersieht („underserved customers“) und bietet ihnen etwas, das sie bis jetzt nicht bekommen. Am Anfang ist diese Zielgruppe klein, vielleicht sogar zu klein. Das ist auch logisch. Wäre die Zielgruppe groß, würde der Markt sie nicht übersehen.
Wenn du ein altes Problem auf neue Weise löst, müssen sich deine Kunden erst einmal umgewöhnen. Zwei Beispiele:
- Flugzeuge übertrumpften Schiffe in Sachen Schnelligkeit. Für gut betuchte Reisende, die es eilig hatten, war klar, dass das Flugzeug die bessere Lösung für interkontinentalen Verkehr war. Allerdings war dafür auch Schluss mit Ballsälen, feinen Speisen und unbegrenztem Gepäck.
- Das Streaming-Abo von Netflix schlug Videotheken mit absoluter Bequemlichkeit. Dafür war die Bildqualität im Vergleich zur frisch erfundenen Blu-ray geradezu lachhaft und man benötigte immer eine Internetverbindung.
Innovation können Verbrauchergewohnheiten ändern, das zeigt der Siegeszug von Flugzeugen und Netflix, aber das geht nicht von jetzt auf gleich. Neue Lösungen starten deswegen meist mit einer kleinen Zielgruppe, die die neuen Vorteile besonders schätzt.
Das sind deine drei Schritte auf dem Weg zur neuen Lösung:
- Vergleiche langjährige Lösungen für altbekannte Probleme: Welche kleine Zielgruppe ist damit vielleicht nicht glücklich?
- Welcher Ansatz oder welche Technologie könnte das spezielle Problem dieser Zielgruppe lösen?
- Entwerfe in Gedanken eine neue Lösung, die das Problem grundlegend anders angeht.
Neue Lösungen sind erklärungsbedürftig
Wenn du ein neues Produkt für ein altes Problem anbietest, kannst du nicht erwarten, dass die Kunden den gedanklichen Sprung von allein machen. Wer nach Schiffen sucht, muss verstehen, dass Flugzeuge die Antwort sind.
Altes Problem, günstigere Lösung
Ein günstigerer Ersatz bietet Kunden das, was sie brauchen, aber zu einem günstigeren Preis. Das klingt im ersten Moment nach magischem Denken, aber die Ansätze dafür sind sehr pragmatisch:
- Umfang reduzieren. Produkte haben die Tendenz, mit den Jahren immer teurer und komplexer zu werden. Irgendwann bekommen viele Kunden mehr, als sie überhaupt brauchen oder bezahlen können („overserverd customers“).
- Günstiger produzieren. Entweder indem man sehr sehr viel produziert (dann sinken die Stückkosten) oder in der Herstellung einen anderen Ansatz hat als die Konkurrenz.
Der Siegeszug von Billigfluglinien kombiniert beide Ansätze. Ryanair und easyJet nutzen weniger frequentierte Flughäfen und bieten nur rudimentären Service an Bord, gleichzeitig minimieren sie die teuren Bodenzeiten.
Das ist dein Weg zum günstigen Ersatzprodukt:
- Ermittle, welcher Teil die Produktionskosten der aktuellen Standardlösung in die Höhe treibt. Suche nicht nur in der Fabrik – auch Support und Service kann ein Preistreiber sein!
- Prüfe, ob du diesen Teil weglassen oder günstig produzieren kannst.
- Entwerfe eine günstigere, aber genauso effektive Lösung.
Digitalisierung spart Kosten
Digitalisierung spart nicht nur Papier, sondern bietet dir fast immer die Möglichkeit, die Prozesse im Hintergrund neu zu denken. Mehr dazu hier.
Echte Probleme sind noch kein Geschäftsmodell
Die Welt ist voller ungelöster Probleme, aber viele davon sind auch nicht besonders wichtig. Workarounds können zum Beispiel seit Jahrzehnten existieren, weil einfach niemand für eine echte Lösung Geld bezahlen möchte. Ebenso sagen viele Leute, dass ein Produkt zu teuer ist, aber sie wollen auch keine Abstriche machen.
Ob deine neue Lösung für ein altes Problem erfolgreich ist, wird dir niemand sagen können – das musst du ausprobieren (mehr dazu hier). Vielleicht entsteht in deiner Garage der nächste Scheibenwischer?