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Das Ende des Gimmicks: Drei Wege zum nützlichen KI-Werkzeug

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Generative KI ermöglicht Werkzeuge, die unseren Alltag spürbar erleichtern – doch die meisten Tools sind weiterhin nur Gimmicks. Woran liegt das?

Süß! Interessant! Verrückt!

Das sind laut der Kulturwissenschaftlerin Sianne Ngai die Eigenschaften eines Gimmicks1. Ngai umschreibt damit auch das, was viele Softwarelösungen zurzeit aus Generativer KI machen, Gimmicks nämlich. Keine große Software verzichtet auf den obligatorischen KI-Assistenten, der GPT Store bietet 3 Millionen angepasste Chatbots – aber was im ersten Moment immer superinteressant wirkt, hat im Alltag häufig keinen Mehrwert.

Ja, ich kann den Miro-Chatbot damit beauftragen, mein Whiteboard in einen Essay zu gießen. Oder mich von einem KI-Assistenten durch den Ikea-Katalog führen lassen. Ich kann es aber auch einfach lassen und weiterarbeiten.

Wie kommen wir weg von den Gimmicks, hin zu Lösungen, die meinen Alltag erleichtern?

Aufgaben ersetzen, statt neue erfinden

Generative AI wurde schon häufig mit einer riesigen Horde Praktikanten verglichen, die per Knopfdruck für jeden verfügbar sind. Ich finde dieses Bild sehr hilfreich. Wenn nämlich ein Unternehmen auf einen Schlag tausend neue, einigermaßen talentierte Praktikanten hätte – würde es in diesem Moment die Abläufe des Unternehmens komplett überdenken? Wohl kaum. Die Praktikanten würden zunächst einmal die (unliebsamen) Aufgaben übernehmen, die jetzt schon anfallen. Dazu gehören:

  • E-Mails filtern und priorisieren
  • Terminkalender pflegen
  • Anrufe zusammenfassen und ToDos ableiten
  • Fehler in der Produktion erkennen

Wenn das geregelt ist, können sich die Praktikanten an die Aufgaben machen, die die Mitarbeiter schon seit Ewigkeiten auf der “Wir müssten mal”-Liste haben, für die sie aber keine Zeit finden.

Und dann … dann können sie sich mit neuen Themen beschäftigen.

Viele AI-Applikationen zähmen das Pferd von der anderen Seite auf. Sie versprechen Lösungen für Probleme, die niemand auf seinem Zettel hat und für die es auch keinen Markt gibt. Und das, obwohl KI-Produkte – wie alle Produkte – zigfach besser als der Status Quo sein müssen, damit wir sie überhaupt dauerhaft in Betracht ziehen. Die Verlustaversion der Kunden schlägt hier sogar besonders stark an, denn bei der Einführung von KI geben sie viel Kontrolle ab und müssen, zumindest zum Start, Qualitätseinbußen befürchten.

Das alles soll nicht heißen, dass Künstliche Intelligenz nicht ganz neue Arbeitsweisen schaffen kann. Innovative Produkte sind allerdings nur selten erfolgreich, wenn sie neue Probleme erfinden (nein, dein Unternehmen ist nicht Apple). Innovation löst alte Probleme auf neue Weise und lässt die aktuellen Lösungen wie Workarounds aussehen.

Schwarze Löcher in Inhalte verwandeln

AI-Tools glänzen, wenn sie auf große Textmassen zugreifen können. Nun sind Wörter zwar das „Betriebssystem unserer Zivilisation“2, aber nur ein Bruchteil dieser Wörter ist verschriftlicht. Digitalisierte Branchen sind hier im Vorteil und das ist der Grund, warum inzwischen jede zweite Cloud-Software einen Chatbot hat – weil es geht. Dabei hätten solche Bots einen vielfachen größeren Wert, wenn sie auch das gesprochene Wort analyiseren könnten.

Ein „schwarzes Loch“ vieler Unternehmen sind zum Beispiel die täglich eingehenden Anrufe. Es bereitet unheimlich viel Mühe, Telefonate im Nachgang zusammenzufassen oder Strichlisten darüber zu führen, warum die Kunden in diesem Monat angerufen haben. Clinq, ein AI-gestütztes Desktop-Phone für Profinutzer, zeichnet Anrufe deswegen komplett auf, verschriftlicht sie und fasst sie zusammen – so lässt sich mit einem Blick sehen, worum es in einem Anruf ging. Dieses Feature macht aus Telefonaten Gesprächsinhalte und lässt das, was die Unternehmen mühsam von Hand machen – Anrufe zusammenfassen – wie einen Workaround aussehen (wir erinnern uns: das Rezept erfolgreicher Innovation).

Noch magischer wirkt die Live-Übersetzung des Samsung Galaxy S24, das genau das tut, was wir seit Star Trek von einem Telefon erwarten: es übersetzt meine Worte in die Sprache des Gegenübers.

KI-Lösungen müssen sich nicht mit den Inhalten begnügen, die es gibt, sondern können das zu Inhalt machen, was bis jetzt eine Blackbox ist.

ChatGPT hinter sich lassen

OpenAI hat mit ChatGPT, zum ersten Mal in der Geschichte, eine Software geschaffen, mit der es sich zu reden lohnt. Das heißt aber noch lange nicht, dass ausformulierte Antworten immer die richtige Lösung sind.

Die KI-gestützte Suchmaschine Perplexity vermischt zum Beispiel in ihren Suchergebnissen auf clevere Art Fließtext mit Bildern und Suchtreffern. Arc Mobile geht noch einen Schritt weiter und liefert als Antwort eine „Webseite“, perfekt abgestimmt auf die jeweilige Suchanfrage. Dahinter steckt keine Raketentechnik (beide Tools stecken nur schlau vorhandenes zusammen), sondern ein tiefes Verständnis von dem, was ein User benötigt.

Und manchmal ist ein Chat einfach nicht die richtige Lösung. Wie ich hier bereits erklärt haben, bieten grafische Interfaces weiterhin zwei große Vorteile:

  1. Sie sagen ganz automatisch, was möglich ist.
  2. Mit wenigen Klicks und Gesten können wir Dinge erreichen, die wir in tausend Wörtern nicht beschreiben könnten.

Faszinierend finde ich deswegen Lösungen wie das Rendering-Tool Vizcom. Benutzer können mit einer Texteingabe, einer Skizze oder einem 3D-Modell starten und erhalten sofort ein fotorealistisches Rendering. Und mit wenigen Pinselstrichen kann man die KI zur nächsten Iteration führen.

Von „interessant“ zu „wertvoll“

Ein Gimmick „erregt Aufmerksamkeit oder steigert die Attraktivität, hat aber oft nur einen geringen inneren Wert“3. Viele AI-Funktionen, die mir in den letzten Monaten begegnet sind, sind damit sehr gut beschrieben.

Das ist kein technisches Problem. Der bahnbrechende Erfolg von ChatGPT hat einen starken Ankereffekt, der noch immer die Ideen vieler Innovatoren und Produktemacher prägt. Das ist verständlich, aber es ist Zeit, weiterzuziehen. Dafür müssen wir auf das horchen, was Nutzer wirklich brauchen.


  1. Sianne Ngais untersucht in “Theory of the Gimmick” die Beziehung zwischen Ästhetik und Kapitalismus. ↩︎

  2. „Language is the operating system of human culture“ – If We Don’t Master A.I., It Will Master Us (Yuval Harari, Tristan Harris, Aza Raskin, 2023) ↩︎

  3. Definition laut der englischen Wikpepdia ↩︎