Technischer Fortschritt oder sozialer Wandel? Beides, aber jetzt!

Mein Newsletter trägt den provokanten Titel „Tech is Good“ und ich bekomme oft die Frage gestellt, ob mein Fortschrittsoptimismus nicht etwas aus der Zeit gefallen ist. Löst Technik wirklich die dringenden Probleme unserer Zeit?

Ich kenne zwei Antworten darauf. Die eine Seite sagt, dass allein die Frage witzlos ist. Wir sind acht Milliarden Menschen – und zwar nur deswegen, weil wir unseren Planeten durch Geoengineering unwiderruflich verändert haben1. Die Frage ist also nicht, ob wir durch Technik den Klimawandel und die Überlastung des Planeten eindämmen können, sondern, welche Technik richtige ist.

Die scheinbare Gegenposition dazu ist, dass wir dringend eine Alternative zu dem Modell brauchen, das uns die Suppe erst eingebrockt hat. Diese Utopie läuft – in der milden Variante – unter Begriffen wie Postwachstum oder Degrowth und fordert, dass wir unseren Wohlstand nicht weiter „mit immer raffinierteren Techniken sichern und ausbauen“2, sondern ganz neu definieren, was Wohlstand überhaupt ist.

In Wahrheit sind diese beiden Zukunftserzählungen gar nicht so unvereinbar – und wir müssen an beiden arbeiten. Der jüngste IPCC-Bericht betont, dass Geoengineering-Techniken wie die Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre unerlässlich sind, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Gleichzeitig sieht der IPCC das Wirtschaftswachstum als wichtigste Variable und zitiert Studien, laut denen die aktuelle Wirtschaftsleistung das 2 Grad-Ziel absolut unmöglich macht3.

Und trotzdem habe ich ein großes Problem mit beiden Zukunftsvisionen. Eben, weil es Visionen sind und nicht gesagt ist, dass sie Realität werden, erst recht nicht im ersten Versuch. Bei den gewünschten „Wundertechniken“ ist das offensichtlich: Es gibt, Stand jetzt, weder skalierbare Lösungen, um CO₂ aus der Luft zu saugen, noch überzeugende Ideen, wo wir das Kohlendioxid anschließend parken. Und für beides sind die ökologischen Seiteneffekte unerforscht.

Was aber für die technische Innovation gilt, gilt auch für die soziale Innovation – und nichts anderes ist gesellschaftlicher Wandel4. Gegner des neoliberalen Kapitalismus hören das nicht gerne, aber noch haben wir kein erprobtes Gegenmodell. Wir wissen nur, dass der technologische Fortschritt und unsere aktuelle Wirtschaftsordnung genau gleichzeitig in Erscheinung getreten sind – und dass der Kapitalismus „das Erfinden“, wie wir es heute kennen, erfunden hat5. Hätte auch eine „Postwachstum“-Welt die erste Massenproduktion von Antibiotikum stemmen können? Wären Solartechnologie und Windenergie erfunden worden? Hätten wir auch dann zum ersten Mal in der Geschichte genug Kalorien für alle Menschen – nur gerechter verteilt? Das müsste man ausprobieren.

Eines gilt in jedem Fall: Es hilft uns nichts, das Problem weiter in die Zukunft zu schieben.

Pragmatismus ist kompliziert

Statt unsere Ressourcen also hauptsächlich auf große Wetten zu werfen, muss es genau andersherum sein: Wir investieren 80 % in das Bekannte, 20 % auf die Wetten. Mit dem großen Ziel im Blick gehen wir Schritt für Schritt. Und lernen mit jedem Schritt dazu. Zwei Beispiele:

  1. Autonomes Fahren könnte, wenn es irgendwann Marktreife erreicht, sehr viele Probleme lösen – aber der erste Schritt sind vielleicht einfach Busse, die auf Knopfdruck kommen. Oder, oft unterschätzt, gut gemachte Apps, die ÖPNV für jeden zugänglich und einfach machen.
  2. Wahrscheinlichlich können wir eines Tages die Landwirtschaft mit Vertical Farming und Präzisionslandwirtschaft umkrempeln. Doch heute ist der Tag, wo wir durch schlaue Technologie Wasserverschwendung vermeiden, von großen und schweren Traktoren wegkommen oder Gentechnik dort anwenden, wo es sinnvoll und gut erforscht ist.

Und was sind pragmatische Lösungen, wenn es um gesellschaftlichen Wandel gilt? Es heißt vor allem, die Konsumenten „von der Last zu befreien, immer die richtige Entscheidung zu treffen“4. Statt also Menschen den Sonntagsbraten oder ihr Auto zu verbieten, können ihnen leicht verständliche Informationen über die Umweltauswirkungen eines Produkts beim Einkauf helfen. Und die Entscheidung für nachhaltigere Verkehrsmittel wird leichter, wenn der Preis sehr einfach zu verstehen ist – der größte Vorteil des Deutschlandtickets.

Pragmatische Lösungen klingen einfach. Sie sind aber kompliziert – weil es um das Hier und Jetzt geht. Die Beteiligten müssen konkrete Entscheidungen treffen und können sie nicht einfach in die Zukunft schieben. Deswegen sind die Debatten um Wärmepumpen und Windkrafträder so emotional. Es geht um Details, die uns schon in wenigen Monaten betreffen werden. So anstrengend diese Diskussionen sind, sie sind ein gutes Zeichen. Wir sprechen über die Gegenwart.

Wir brauchen auf jeden Fall mehr Technik

Wird uns der technologische Fortschritt retten? Ja. Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Je erfolgreicher wir das Zeitalter der fossilen Energie hinter uns lassen, desto mehr technologischen Fortschritt brauchen wir. Jeder Prozentpunkt mehr Effizienz bei Fotovoltaikanlagen hilft – aber der Effekt ist umso größer, je mehr Haushalte sich eine Anlage aufs Dach schrauben. Jede kleine Verbesserung bei Elektromobilität hat umso größere Auswirkungen, je mehr Menschen ihren Verbrenner ersetzen.

Ingenieure wissen ein Lied davon zu singen, wie viel Forschung und Arbeit in diesen kleinen Verbesserungen liegt. Unsere Gesellschaft weiß das nur oft nicht zu schätzen.

Tech ist Good. 👋