Warum Netzwerkeffekte nicht die Lösung sind


  1. Ein Netzwerkeffekt tritt auf, wenn ein Produkt nützlicher wird, je mehr Menschen es nutzen.
  2. Produkte, die auf Netzwerkeffekte setzen, definieren sich vor allen Dingen über die Zahl ihrer Nutzer, nicht über Funktionen. Das bremst Innovation, ist riskant und beschränkt die Möglichkeiten.
  3. Bessere Alternative: ein traditionalles Geschäftsmodell zu einer Plattform erweitern

Lange Zeit war der Aufbau eines Netzwerkes ein notwendiges Übel, wenn man eine bestimmte Technologie erfolgreich machen wollte. Das Telefon zum Beispiel war eine bahnbrechende Erfindung, aber solange Graham Bell der einzige Mensch mit einem Telefon war, brachte es ihm herzlich wenig.

Kalt-Start-Problem“ nennt das Silicon Valley diese Herausforderung – und es hat die Perspektive auf dieses Problem umgedreht. Netzwerke sind für Start-Ups, die groß werden wollen, kein notwendiges Übel mehr, sondern Grundbedingung für den Erfolg. Der Grund sind Netzwerkeffekte.

Ein Netzwerkeffekt tritt auf, wenn ein Produkt nützlicher wird, je mehr Menschen es nutzen – und zwar ohne dass sich am Produkt selbst etwas ändert. Das oben genannte Telefon wurde wertvoller, je mehr Menschen es besaßen. Eine bessere Sprachqualität oder schönere Hörer hätten hingegen nichts am Wert geändert.

Was Start-ups aber eigentlich meinen, wenn sie von Netzwerkeffekten sprechen, sind die Auswirkungen, die der Effekt mit sich bringt. Wenn es einer Plattform nämlich gelingt, das Kalt-Start-Problem zu lösen, greift folgender Mechanismus:

  1. Der Druck für die Anwender steigt, sich der Plattform anzuschließen (weil sie bestimmte Ergebnisse nur dort erhalten).
  2. Unternehmen / Creators können die Plattform nicht ignorieren (weil sie bestimmte Zielgruppen nur dort erreichen).1

Beides verstärkt sich, immer schneller und schneller … zack, explosives Wachstum.

Das klingt alles sehr verlockend. Doch Unternehmen und Innovatoren sollten sich dreimal überlegen, ob sie wirklich auf Netzwerkeffekte setzen. Hier kommen drei Probleme – und eine Alternative, die für Unternehmen jeder Größe interessant ist.

Netzwerkeffekte bremsen Innovation

In einer Welt, die sich vor allem auf Netzwerkeffekte verlässt, setzt sich nicht das beste Produkt durch, sondern einfach das, welches das Kalt-Start-Problem überwindet. Das zu schaffen hängt von drei Dingen ab: taktischem Geschick, Geld und Zufall.

Besonders gut sieht man das im Messenger-Markt. Die erfolgreichen Messenger sehen gleich aus und machen auch das Gleiche. Aber warum nutzt dann in Polen jeder den Facebook-Messenger und in Deutschland jeder WhatsApp? Das kann niemand erklären, auch nicht Mark Zuckerberg – dem ist es als Besitzer beides Messenger allerdings egal..2

Treffen sich ein Deutscher und ein Pole …

Bei geschlossenen Plattformen sind es nicht Funktionen, die Nutzer zu einem Produkt ziehen, sondern andere Nutzer. Menschen mit innovativen Ideen haben es in solchen Unternehmen wirklich schwer. Im Zweifel gewinnt immer, was schnelles Wachstum bringt – und nicht, was den Kunden wirklich weiterhilft.

Netzwerkeffekte können sich ins Gegenteil verkehren

„Netzwerkeffekte haben einen Rückwärtsgang“, schreibt Michael Seemann in Die Macht der Plattformen. „Das ist es, was Mark Zuckerberg nachts nicht schlafen lässt.“

Und nicht nur ihn. Wer sein Geschäft darauf aufbaut, Menschen miteinander zu verbinden, für den ist jeder verlorene Kunde ein doppeltes und dreifaches Problem. Denn dieser Kunde nimmt im Zweifel seine Community mit, diese gehört wiederum zu einer größeren Community … und so verstärkt sich das Problem in kurzer Zeit:

Derr Aufstieg und Fall vergangener Social-Media-Plattformen illustriert das sehr gut. StudiVZ galt aufgrund von Netzwerkeffekten als uneinholbar , aber genau diese Effekte haben die Plattform in wenigen Jahren irrelevant gemacht. Clubhouse bot uns diese Tragödie im Zeitraffer: Die Menschen kamen in Scharen und gingen Scharen.

Netzwerkeffekte machen eine Plattform groß, aber sie können sie auch in den Ruin treiben.

Netzwerkeffekte verengen den Blick

Plattformen, die Menschen und Unternehmen miteinander verbinden, sind ein modernes Geschäftsmodell – aber lange nicht das einzige. In den letzten Jahren sind erstaunlich viele innovative Unternehmen ganz ohne Netzwerkeffekte groß geworden, von Produzenten wie BeyondMeat bis zu Software-Dienstleistern wie Zoom.3

Wer bei einer Idee zuerst die Frage stellt, wie man auf möglichst viele Nutzer kommt, schränkt seinen Blick unnötig ein. Mich erinnert das an den Anfang der 10er Jahre, als Apps en vogue waren, über die Nutzer eigene Inhalte hochladen konnten: Kochrezepte, Ausflugstipps, Fotos. Dieser Trend hat erfolgreiche Ideen mit sich gebracht, allen voran Instagram und Foursquare. Gleichzeitig entstanden aber Dutzende anderer Unternehmen (wie z. B. der Zahlungsdienstleister Stripe), die mit diesen Trends nichts am Hut hatten.

Netzwerkeffekte sind teuer und die Unternehmen, die auf sie setzen, kämpfen oft jahrelang mit hohen Kosten pro Kunde. Warum auf diese Strategie setzen, wenn es Alternativen gibt?

Besser: Erst Mehrwertwert, dann Plattform

Keine Frage: Wer bei null startet und trotzdem exponentielles Wachstum will, für den sind Netzwerkeffekte die beste und oft einzige Lösung.

Nur: braucht dein Unternehmen exponentielles Wachstum und sollte es alles darauf optimieren? Nachhaltig am erfolgreichsten sind Produkte, die aus sich heraus einen Mehrwert liefern. Netzwerkeffekte sind dann nur das Sahnehäubchen.

Hier liegt genau der Trick für etablierte Unternehmen: Sie können ihr erfolgreiches Geschäftsmodell zu einer Plattform erweitern und bekommen Netzwerkeffekte dann „on top“.

Wie funktioniert das praktisch? Indem man externe Partner in das eigene Produkt integriert. Zwei Beispiele:

  • Der Landmaschinenhersteller John Deere bietet Bauern seit 2013 eine Online-Plattform, unter der sie ihre Felder und Maschinen verwalten können. Seit ein paar Jahren können sich Externe in die Plattform integrieren: Wetterdatendienste, Werkstätten, aber auch Traktoren von der Konkurrenz.
  • In Deutschland baut der Einzelhänder Fressnapf seinen klassischen Online-Shop zum Marktplatz um. Jeder, der Dienstleistungen rund ums Tier anbietet – Tierärzte, Hundefriseure, Anbieter von Tierkrankenversicherungen – kann sich dem Netzwerk anschließen.

Fressnapf und John Deere sind dabei, zu einer Plattform zu werden, mit genau den Netzwerkeffekten, auf die Start-ups so scharf sind. Bestimmte andere Unternehmen können die Plattform nicht ignorieren (weil sie bestimmte Zielgruppen nur dort erreichen), der Druck auf deren Kunden steigt, sich der Plattform anzuschließen, beides verstärkt sich, zack:

Solche Erweiterungen des Geschäftsmodells sind natürlich ein dicker Brocken4, aber sie können klein beginnen. Wie bei Fressnapf und John Deere ist der erste Schritt, externe Partner in das eigene Produkt einzubinden. Das muss am Anfang kein ausgewachsener Online-Marktplatz sein, es genügt ein simpler Link oder eine Erwähnung im Kundenmagazin. Warum nicht sofort damit experimentieren?

Fazit

Netzwerkeffekte sind ein Biest. Sie sind schwer in Gang zu bringen und sie können zurückschlagen. Deswegen sollten sich besonders Start-ups dreimal fragen, ob sie nach Ideen suchen, die von Netzwerkeffekten abhängig sind. Es geht auch anders.

Etablierte Unternehmen hingegen können sich Stück für Stück zur Plattform entwickeln – und dabei fast nur gewinnen.


  1. Das gilt nur in sogenannten zweiseitigen Märkten, bei denen Plattformen Endnutzer und andere Unternehmen verbinden. Die großen Plattformen bauen fast immer einen zweiseitigen Markt auf – mehr dazu hier:Zweiseitige Märkte – Die Grundlagen (Marcel Weiß, 2010) ↩︎

  2. Das kommende EU-Gesetz, das Messenger miteinander kompatibel macht, wird von den Plattformen deswegen mit Sorge erwartet – und zwar auch von den Underdogs. Der Threema-Chef Martin Blatter sagt: „Wenn nun aber Threema nicht mehr notwendig sei, um Teil einer Gruppe – etwa eines Fußballvereins – zu sein, dann „bleiben die Leute bei WhatsApp”, anstatt ein paar Euro für eine Alternative auszugeben“ (Quelle: Was passiert mit der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung- (Alexander Fanta, 2022) ↩︎

  3. Es ist erstaunlich, dass Zoom für sein explosives Wachstum keine Netzwerkeffekte bemüht hat. Das wäre zum Beispiel möglich gewesen, wenn nur registrierte Nutzer an einem Zoom-Call hätten teilnehmen können. Zoom entschied sich für den zugänglicheren Weg (einfach per Link teilnehmen) und lag damit richtig. Das Beispiel zeigt auch: Wachstum durch Weiterempfehlung kann mit Netzwerkeffekten verknüpft sein, muss es aber nicht. ↩︎

  4. Fressnapf-Gründer Torsten Toeller bezeichnet den Schritt als die “größte Transformation der Firmengeschichte↩︎