Kunst und KI: Wir bekommen, was wir bestellen

Die Writers Guild of America (WGA) streikt und das bedeutet, dass Hollywood voerst keine neuen Drehbücher erhält. Zuletzt geschehen ist das 2007. Zwei Dinge haben sich seitdem verändert: Einerseits hat Netflix die Art und Weise, wie Serien produziert werden, grundlegend verändert (zum Nachteil der Autoren), zum anderen steht Künstliche Intelligenz als Ergänzung menschlicher Autoren zum ersten Mal ersthaft im Raum. Die amerikanischen Drehbuchautoren fordern deswegen nicht nur eine gerechtere Bezahlung, sondern auch ein absolutes KI-Verbot: keine Rohentwürfe, keine Überarbeitungen durch KI-Bots.

Werden sich die Studiobosse darauf einlassen? Und wenn nicht, werden wir bald Zeuge davon, wie die erste Kunstform des Menschen, die des Geschichtenerzählers, ins Wanken gerät? Zeit für einen Blick darauf, ob „Drehbücher aus der Dose“ wirklich eine Dystopie sind.

Konstant gute Qualität, wie auch immer

Man mag Netflix für vieles kritisieren, aber wenn ich die Qualität einer durchschnittlichen Netflix-Serie mit dem vergleiche, was mir in den 90ern das Fernsehen vorgesetzt hat, möchte ich nicht mehr zurück. Am Anfang wirkte es wie ein Wunder, dass der Strom von neuen, immer soliden Serien einfach nicht versiegte. Inzwischen hat sich das Publikum daran gewöhnt. Vielleicht ist das der größte Effekt von Streaming-Plattformen: Die Arbeit von Millionen Kreativen im Hintergrund ist für das Publikum noch selbstverständlicher geworden.

Und es überträgt sie, ohne mit der Wimper zu zuckern auf andere Bereiche. Auf traurige Weise illustriert das der „Game of Thrones“-Autor George R. R. Martin. Den kritisieren manche Fans scharf, weil er so lange braucht, bis er eine neue Folge „herausrückt“ – als würde er sie nur besitzen, nicht erst erschaffen. Doch das greifbarste Beispiel dafür, wie jede Form von Entertainment standardisiert wird, sind für mich Musicals. Trotz durchschnittlichen Ticketpreisen von 100 Euro sind Musicals populärer denn je, wahrscheinlich weil wir uns inmitten der Netflix-Schwemme nach „etwas Echtem“ sehnen. Echt, aber episch.

Die Musical-Macher befriedigen dieses Bedürfnis, indem sie in ständig neue Effekte und bombastischere Shows investieren. Aber ausgerechnet an der scheinbar wichtigsten Stelle sparen sie: den Musikern. Am berühmten Londoner Westend hat „Das Phantom der Oper“ kürzlich sein Orchester halbiert, hierzulande begleiten den Starlight Express nur noch sieben statt zwanzig Musiker. Möglich werden diese Einsparungen durch eine Mischung aus Synthesizern und Bandaufnahmen1, die erst zögerlich, aber nun immer rigeroser ganze Orchester ersetzen.

Man sollte meinen, dass niemand ein 100 €-Ticket kauft, um eine CD zu hören – aber der Erfolg gibt den Produzenten recht. Es geht es ihnen nämlich gar nicht (nur) um die Kosten. Beim Starlight Express arbeiten 300 Menschen, da können zehn gekündigte Musiker nicht zur Rettung der Bilanz gereichen. Doch die Musik aus der Dose, so die offiziellen Statements, sorgt für einen „moderneren Klang“, der sich an den heutigen „Hörgewohnheiten“ orientiert. Übersetzt: natürlich versprechen wir dem Publikum Live-Musik, aber die soll sich bitte jeden Abend exakt gleich anhören. Und zwar so, als käme sie aus einem Filmsoundtrack.

Vielleicht ist diese endgültige Standardisierung der Popkultur die eigentliche Dystopie? Und wenn ja, wer hat Schuld?

Kunst ist nicht das, was das Publikum bestellt hat.

Bis zum Jahr 2000 waren etwa ein Viertel der erfolgreichsten Filme Fortsetzung, Remakes oder sonstige Erweiterungen von bestehendem. Seit 2010 liegt dieser Anteil bei über 50%, in den letzten Jahren nähert er sich sogar 100%2. Den Löwenanteil übernimmt das Marvel-Universum, das manchmal wie eine einzige Recycling-Tonne wirkt. Eine sehr große Tonne.

Laut der Autorin Jessica Crispin steckt dahinter Kalkül: „Die Methode, wie sie [die Macher der Superhelden-Filme] Geld verdienen, besteht aus Unzufriedenheit und Überfluss. Die Unzufriedenheit funktioniert, weil wir nie etwas wirklich Gutes zu sehen bekommen, aber die Hoffnung haben, dass etwas ganz Erstaunliches kurz bevorsteht. Und die Überfülle besteht darin, dass wir nie wirklich aufholen können, weil es immer neues Zusatzmaterial oder Easter Eggs oder Spin-offs gibt, die man durcharbeiten muss. Nichts davon ist besonders gut, aber hey, wenigstens gibt es verdammt viel davon.“ Eine Strategie, mit der man auch auf die Content-Fülle von Netflix gut beschreiben könnte.

Und auch hier gibt der Erfolg den Produzenten recht. Vorbei scheinen die Zeiten, als Filme wie „Der Pate“ nicht nur bahnbrechend neue und mutige künstlerische Wege gingen, sondern auch zu den Kassenschlagern des Jahrzehnts gehörten. Das System, für das die streikenden Autoren sonst schreiben, wirkt in seiner Standardisierung schon beinahe maschinell. Und trotzdem ist das Problem nicht technischer Natur. Das Problem ist, dass das Publikum genau das erhält, was es bestellt hat3 – und das ist nicht die Schuld des Publikums. Es ist nicht Aufgabe der Zuhörer und Zuschauer, die Kreativbranche für neue Ideen zu begeistern. Andersherum wird ein Schuh draus.

Machen KI-generierte Drehbücher die Lage nun schlimmer oder besser?

Wieder mehr interessante Ideen

Künstler, egal welcher Art, sind getrieben. Sie produzieren etwas, weil sie das Gefühl haben, sie müssen. Das ist einer der Gründe, warum die Kreativwirtschaft so dysfunktional ist: Es gibt ein Überangebot an kreativer Arbeit, an dem sich Verlage, Labels, Studios und anderen Vermittler bedienen können. Gehaltsverhandlungen sind schwer, wenn man die Arbeit auch ohne Gehalt machen würde.

KI-Tools wie ChatGPT und Midjourney werden deswegen dazu führen, dass noch mehr Menschen ihre Ideen umsetzen. Dass noch mehr Menschen sich ausdrücken können. Und das ist, für die Vielfalt der Werke, ein Gewinn. Der Drehbuchautor Christopher Keane sagte einmal: „Vielleicht sind die besten Geschichten der Weltgeschichte nur deshalb nie erzählt worden, weil gerade kein Schriftsteller zugegen war.“4

Was nicht heißt, dass die zukünftigen Blockbuster automatisch ungewöhnlich und neu sein werden. Der Selfpublishing-Markt illustriert das sehr gut. Als es für vor fünfzehn Jahren jedem Hobbyautoren möglich wurde, sein Buch mit wenigen Klicks einer großen Leserschaft zur Verfügung zu stellen, wurde die deutsche Buchlandschaft nicht etwa plötzlich mit einer Masse von Bestsellern überschwemmt, die ausschließlich abgedreht und ungewöhnlich waren. Im Gegenteil: die erfolgreichen Bestseller der Selfpublisher entsprechen genau der Art von Fließbandware Genre-Literatur, für die die Verlagsindustrie oft Kritik einstecken muss. Aber trotzdem hat der Kindle auch Bücher ermöglicht, die es niemals durch den Literaturbetrieb geschafft hätten. Und teilweise haben sie eine beachtliche Leserschaft gefunden.

Gleich aussehende Bücher einer Verlagssausschau
Programm eines deutschen Verlages. Die Standardisierung der Popkultur funktioniert auch ganz ohne KI.

Technologie ist ein Werkzeug. Wenn die großen Studios ihren Zuschauern weiterhin das liefern möchte, was sie „bestellt“ hat, nämlich standardisierte Einheitsware, dann wird ihnen Künstliche Intelligenz dabei helfen. Gewerkschaften werden sich nicht ewig dagegen wehren können.

Gleichzeit könnte KI mehr Menschen dabei befähigen, kreativ zu sein – ob das nun ihr Beruf ist oder nicht. Wir werden dann mehr von dem zu sehen bekommen, womit keiner gerechnet hat. Ob Hollywood ein Teil dieser Wandlung ist oder nicht … das ist mir persönlich recht egal.


  1. Die Bandaufnahme verbirgt sich hinter Begriffen wie „Click Tracks“ oder „orchestra enhancement“ und sie sie werden tatsächlich immer besser (reagieren z.B. auf das Tempo des Dirigenten). Aber es bleiben Aufnahmen. ↩︎

  2. Quelle: Pop Culture Has Become an Oligopoly (Adam Mastroianni, 2022) ↩︎

  3. Der Regisseur Steven Soderbergh macht zum Beispiel Testvorfürhungen für die Gleichförmigkeit von Teaser und Werbespots verantwortlich: „It’s because anything interesting scores poorly and gets kicked out. (…) I’ve tried to argue that maybe the thing that’s making it distinctive, and score poorly, actually would stick out if you presented it to these people the way the real world presents it. And I’ve never won that argument.” – zitiert in The age of average (Alex Murrell, 2023) aus Life Moves Pretty Fast: The Lessons We Learned from Eighties Movies (and Why We Don’t Learn Them from Movies Any More) (Hadley Freeman, 2016) ↩︎

  4. Quelle: Schritt für Schritt zum erfolgreichen Drehbuch: Mit einem vollständigen, kommentierten Drehbuch (Christopher Keane, 1️998) ↩︎