In dem Film Apollo 13 gibt es eine Szene, die mich schon als Kind beeindruckt hat: die Bastelstunde. Die Astronauten im All haben gerade die Mondlandefähre zum „Rettungsboot“ umgewandelt, schon tritt in Form von inkompatiblen CO₂-Filtern das erste Problem auf. Der eine Filter ist rund, der andere eckig. Mission Control steckt daraufhin die besten Ingenieure in einen winzigen Raum, legt alle verfügbaren Geräten auf den Tisch und fordert die Männer auf, kreativ zu werden.1
Ich liebe diese Szene. Und auf den ersten Blick sehen wir hier genau das, was Politiker meinen, wenn sie „Technologieoffenheit“ fordern. Unser Verkehrsminister Volker Wissing schrieb zum Beispiel vor wenigen Tagen hier auf LinkedIn, dass der Staat zwar Klimaneutralität als Ziel vorgeben sollte, aber nicht, „wie das Ziel mit welcher Technologie effizient und kostengünstig erreicht wird. […] Der Staat weiß eben nicht besser, wie es am besten funktioniert. Unsere Ingenieurinnen und Ingenieure wissen es.“
Klingt sinnvoll. Allerdings beruht diese Einschätzung auf drei Missverständnissen.
Die „beste“ Technologie gibt es nicht.
Wir stellen uns den technologischen Fortschritt oft als eine Art Straße vor, die uns einen Berg hinaufführt. Aber so ist das nicht.
Technologien setzen sich durch, wenn sie ein Problem ihrer Zeit lösen – und selbst das reicht noch nicht. Wir sind von Erfindungen umgeben, zu denen es eine bessere Alternative gibt:
- Das Betriebssystem DOS/IBM wurde in den 80ern belächelt, begründete aber den Siegeszug des PC.
- Javascript ist eine der meistgehassten Programmiersprachen der Welt, aber die Grundlage jeder Webapp
- Die QWERTY-Tastaturbelegung ist nahezu uneingeschränkter Standard bei Tastaturen – obwohl es nachweislich bessere Layouts gibt.
Der Grund ist: gerade wenn es mehre Alternativen gibt, kommt der Zufall ins Spiel. Kleine Entscheidungen werden getroffen, diese lösen die nächste Entscheidung aus und irgendwann ist ein bestimmter Pfad gesetzt. Und das ist nicht schlimm. Denn wenn sich ein Standard erst einmal durchgesetzt hat, kommen die vielbemühten Ingenieure ins Spiel und schaffen Möglichkeiten, die zu Anfang gar nicht klar waren. Vielleicht „missbrauchen“ sie die Technologie dafür sogar. „Ich will nicht wissen, wofür es designt ist“, schimpft Ed Harris in Apollo 13, „ich will wissen, was es tun kann.“
Mehrere Technologien bedeuten nicht mehr Einnahmen
Wenn Unternehmen mit einem ähnlichen Produkt um Kunden konkurrieren, beginnt der Preiskampf. Irgendwann pendelt sich der Preis auf niedrigem Niveau und wenig Rendite ein. Interessanterweise gilt bei technischen Standards das genaue Gegenteil. 2
Der Grund ist, dass sich um eine Technologie herum ein Ökosystem bildet. Im Fall von Elektromobilität gewinnen zum Beispiel nicht nur die Autobauer, sondern auch eine lange Kette von Unternehmen: von großen Zulieferern und Herstellern bis hin zum kleinen Online-Magazin für E-Mobilität. Das alles führt zu einer besseren Infrastruktur, diese wiederum zu mehr E-Autos, und so weiter. Anders ausgedrückt: je verbreiteter eine Technologie ist, desto wertvoller die Produkte und Services, die auf dieser Technologie basieren.
Bei mehreren technischen Lösungen gleichzeitig kommt dieses Perpetuum Mobile nicht in Fahrt. Die Kraft des Standards kann sich nicht entfalten.
Konkurrenzdruck macht nicht schneller
Warum brauchen selbst grandiose Erfindungen viele Jahre, oft Jahrzehnte, bis sie sich durchsetzen? Der Ökonom Nathan Rosenberg untersuchte dieses Phänomen in den 70ern und fand heraus: es liegt daran, dass alte Technologien unter dem Innovationsdruck der Newcomer besser werden. Die Erfindung des Gaslichts sorgte zum Beispiel für verbesserte Kerzen (mit einem Docht, den man nicht mehr abschneiden musste). Das elektrische Licht wiederum führte zur Erfindung des Gasglühlichts, beworben als „elektrisches Licht ohne Elektrizität“.
Diese Verbesserung der alten Technologien waren echt, kein Marketing-Blabla (ich bin froh, dass ich einen Kerzendocht nicht mehr putzen muss). Letztendlich wurden die alten Technologien verdrängt. Aber bis dahin schafften sie es, ihre Konkurrenten auszubremsen. Teilweise jahrzehntelang.
Das ist die Kehrseite von konkurrierenden Technologien. Sie setzten sich gegenseitig unter Druck und es dauert länger, bis der Gewinner wirklich gewonnen hat.
Wir sind längst einen Schritt weiter
Am Ende passt das Bild der „Bastelstunde“ aus Apollo 13 aber doch. Wir stehen nicht mehr vor der Frage, wie wir die Astronauten zurückholen (ob über direkte Umkehr oder eine Mondumrundung). Das ist geklärt. Jetzt geht es darum, einen runden Filter in einen eckigen zu bekommen.
Aber … was, wenn die verworfene Möglichkeit doch ein bisschen besser gewesen wäre? Darauf hat die Geschichte der Technologien eine klare Antwort: das ist egal.
Mehr dazu
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Die Zeile „Square Peg in a Round Hole“ hat der deutsche Dialogbuchautor mit „Eckiges Schwein in ein rundes Loch“ übersetzt – offensichtlich weil er „Peg“ (Pflock) und “Pig“ verwechselt hat. Vielleicht hatte er aber auch bei einer Wette verloren und musste mindestens einmal das Wort „Schwein“ in den Film einbauen. ↩︎
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Der Ökonom W. Brian Arthur fand heraus, dass ein Standard wie die QUERTY-Tastatur zu steigenden Einnahmen führt: On Competing Technologies and Historical small Events- The Dynamics of Choice under increasing return (W. Brian Arthur, 1983) ↩︎