„Wer ist dieser Kerl? Warum tut er das?“
Das habe ich mich gefragt, als ich im Juni 2013 das Bekenntnisvideo Edward Snowdens gesehen habe. Wie wohl auch jeder andere auch.
Snowden größte Sorge war damals nicht, was mit ihm geschehen würden – sondern dass sich die Medien auf ihn als Person konzentrieren würden, statt auf seine Enthüllungen. Oder noch schlimmer, dass es überhaupt keine Berichterstattung geben würde.
Beides ist nicht geschehen. Edward Snowden hat eine weltweite Diskussion in Gang gesetzt. Sie führte zu zahlreichen Untersuchungen und die Untersuchungen führten zu Gesetzesänderungen. Genau das, was Snowden erreichen wollte. Hetzjagden oder Klatschreportagen waren dagegen selten.
Meine Fragen von 2013 blieben trotzdem unbeantwortet. Wer ist Edward Snowden? Was hat ihn bewogen, alles aufzugeben?
Seine Biographie Permanent Record liefert Antworten. Auch wenn das Buch keine klassische Biographie ist, eher ein Manifest. Natürlich erzählt Snowden seine Lebensgeschichte, mit Fokus auf seine Teenagerjahre, und darunter finden sich einige schön erzählte, beinahe filmreife Momente. Allem voran seine erste Begegnung mit einem Computer, dem Commodore 64.
Aber Snowden ist eben mehr Denker als Geschichtenerzähler. Steilvorlagen für jeden Biografen wie die Scheidung seiner Eltern oder die Beziehung zum Vater, einem Beamter der Küstenwache, reißt Snowden nur an. Die Vorbereitungen für den Datenklau im Jahr 2013 sind spannend zu lesen, aber den spannendsten Moment hat Snowden einfach herausgekürzt. Die Tagebuchnotizen seiner Freundin Lindsay von der Zeit nach Snowdens Verschwinden geraten da zum emotionalen Highlight des Buches.
Wer also ist dieser Mann? Die US-Regierung und ihr nahestehende Medien haben darauf schon lange eine Antwort. Es ist die gleiche wie bei jedem Whistleblower: Snowden ist ein regierungsfeindlicher und labiler Mann, der für seine Enthüllungen allerlei persönliche Motive hatte. Das Magazin „The New Republic“ hat sich vor einigen Jahren durch die Foren-Posts des jungen Snowden gewühlt und „bewiesen“, dass er nicht mehr als ein aggressiver, asozialer Rüpel ist.
Nur, dass sie damit einfach falsch liegen. Falsch liegen müssen. Wer Snowden reden hört – zum Beispiel im Film Citizenfour – und wer seinen strukturierten, klaren Gedanken in Permanent Record folgt, der muss einfach glauben, dass Snowden das ist, für das er sich ausgibt: ein intelligenter, logisch denkender Mann, der an das glaubt, was er tut und genau erklären kann, warum.
Was mich am meisten in Snowdens Autobiographie beeindruckt hast, ist wie er das „Goldene Zeitalter“ des Internets beschreibt: „To this day, I consider the 1990s online to have been the most pleasant and successful anarchy I’ve ever experienced." Snowden gibt zu, dass er sich für einige seiner Forenbeiträge von damals schämt. Das sind genau die Posts, die The New Republic später ausgrub. Snowden hat sie nicht gelöscht.
Seine Biographie ist ein Bestseller, natürlich, und Snowden nutzt diese Bühne, um noch einmal seinen Standpunkt zu den Themen Privatsphäre, Datenschutz und Meinungsfreiheit klarzumachen. Sein inzwischen bekanntes Zitat zur Meinungsfreiheit: „Zu argumentieren, man mache sich nichts aus Datenschutz, weil man ja nichts zu verbergen habe, ist genauso wie zu sagen, man kümmere sich nicht um Meinungsfreiheit, weil man nichts zu sagen habe.“ Bämm!
Es ist vielleicht nicht die große, erhoffte Geschichte, die Permanent Record erzählt, aber es ist ein wichtiges Buch mit Gedanken, die jeder Internet-Bürger gehört haben sollte.
„Permanent Record“ von Edward Snowden, 432 Seiten. Bei Amazon kaufen.