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Jetzt wird jeder zum Filmregisseur. Nicht.

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Neue KI-Modelle können auf Basis simpler Textprompts hollywoodreife Sequenzen generieren. Verändert das die Filmbranche?

Das Trickfilmimperium von Walt Disney begann mit krude animierten Werbefilmchen. Ähnlich wie heutige Whiteboard-Videos zeigten die „Laugh-O-Grams“ eine Hand, die in überhöhter Geschwindigkeit Karikaturen malte.

Diesen Effekt erzielte Disney, indem er zuvor erstellte Skizzen millimeterweise mit einem Stift nachzog – eine Aufgabe, die er bald an seinen ersten (und unbezahlten) Praktikanten auslagerte.

Man muss die Laugh-O-Grams und andere Trickfilme dieser Zeit gesehen haben, um zu begreifen, was für eine Revolution Schneewittchen und die sieben Zwerge war. Fünfzehn Jahre nach seinen ersten filmischen Gehversuchen erfand Disney mit Schneewittchen den abendfüllenden Zeichentrickfilm – in einer zeichnerischen Qualität, die sich vor heutigen Animationsfilmen nicht verstecken muss.

Aus Disney und seinem Praktikanten war ein Großaufgebot von 570 Künstlern geworden, darunter zweiunddreißig Hauptzeichner, dutzende Effekt- und Hintergrundkünstler, außerdem über 150 Frauen, die die Figuren ausmalten1. Der Aufwand war immens. Allein der im Film nur eine Minute lange Heimweg der Zwerge (Hei-ho 🎶) beschäftigte fünf Zeichner ein halbes Jahr lang.

In den nächsten Jahrzehnten entwickelte sich der Trickfilm zwar weiter, aber der personelle Aufwand blieb der gleiche 2. Das Team hinter heutigen, computeranimierten Filmen ist ist auffallend ähnlich strukturiert wie das von Schneewittchen: Ein Team von 30 bis 50 Animateuren wird flankiert von hunderten Künstlern, die für Hintergründe, Licht und Effekte zuständig sind. 3. Natürlich kann man auch weiter simple Trickfilme herstellen – und erfolgreich sein. „Der kleine Maulwurf“ zum Beispiel ist ein Welterfolg, aber das Werk eines einzelnen Künstlers, Zdeněk Miler. Jede Sequenz der 60 Kurzfilme kommt aus seiner Feder.

Doch das sind die großen Ausnahmen. Die Filmbranche ist eine Filmindustrie, und das gilt auch für Filme, die ganz am Computer hergestellt werden.

Nun soll KI das ändern. Neue KI-Modelle wie Sora von OpenAI können auf Basis simpler Textprompts hollywoodreife Sequenzen generieren, die je nach Wunsch absolut real oder wie ein Cartoon aussehen. Nach den ersten Demos waren die sozialen Medien voller angehenden Regisseure, die nur auf diese „Demokratisierung der Filmbranche“ gewartet haben.

Aber was genau kann in der Filmbranche überhaupt demokratisiert werden? Hier hilft ein Blick auf das, was die digitale Transformation aus Filmen gemacht hat.

Mehr als Spezialeffekte

Ein Film, egal ob animiert oder nicht, durchläuft mehrere Stufen. Er beginnt mit einem Drehbuch, wird produziert und anschließend nachbearbeitet und editiert.

Die Digitalisierung veränderte zuallererst und für Zuschauer offensichtlich die letzte Stufe, die sogenannte Post-Produktion. Computeranimationen erlaubten nicht nur revolutionäre Spezialeffekte, sondern veränderten auch, wie ein Film produziert wird. Der gezeichnete Zeichentrickfilm ist Geschichte, zunehmend auch aufwändige Kulissen und exotische Drehorte.

Im Hintergrund sind auch die Schritte bis zum eigentlichen Dreh digitalisiert. Regisseure wie Steven Spielberg planen die Szenen eines Films minutiös – früher mit einer Mischung aus Skizzen und Puppentrickfilmen (!), heute mit digitalen Simulationen.

Und selbstverständlich schreiben Autoren ihre Drehbücher nicht mehr auf der Schreibmaschine, sondern in spezialisierter Software.

Die größte Revolution der Filmbranche fand jedoch dort statt, wo der Film zum Zuschauer gelangt. Jahrzehntelang führte am aufwändigen Vertrieb über Kino oder Fernsehen kein Weg vorbei. Heute jedoch reicht ein Vertrag mit Netflix, um auf einen Schlag ein internationales Publikum zu erreichen. Und auf YouTube können Filmemacher ihr Werk hochladen, ohne mit irgendwem verhandeln zu müssen. Die Digitalisierung hat – wie in vielen anderen Bereichen auch – die Kosten pro Kopie auf null gesenkt („Zero Marginal Costs“) und damit die Distribution grundlegend verändert.

Und jetzt ist alles demokratisiert?

Die Digitalisierung hat vor allem zwei Aspekte des Filmemachens verändert:

  1. Visuelle Effekte sind zur Standardware geworden. Wir haben schon jedes Raumschiff und jeden Dino gesehen – das allein lockt niemanden mehr ins Kino 4.
  2. Die Werkzeuge, um einen Film zu drehen und zu schneiden, sind für jeden verfügbar.

Der Satz: „Jeder kann jetzt einen hollywoodreifen Film produzieren“ ist wahr, und das seit geraumer Zeit – nicht erst seit den neuen Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz. Jeder, der ausreichend Zeit, Ausdauer und Talent mitbringt, kann einen Animationsfilm erstellen kann, der es visuell spielend mit dem ersten „Toy Story“-Film aufnehmen kann ↓

Außerdem hat jeder von uns eine Kamera in der Hosentasche, von der angehende Filmemacher noch vor wenigen Jahren geträumt hätten.

Und trotzdem kann von einer „Demokratisierung“ der Filmbranche nicht die Rede sein. Kein YouTube-Film hatte jemals großen Erfolg und die erfolgreichen Webserien (wie Don’t Hug Me I’m Scared) lassen sich an einer Hand abzählen. Die Filmbranche ist die gleiche Industrie, die sie schon seit hundert Jahren ist. Wird Künstliche Intelligenz das grundlegend verändern?

Niemand wird einfach zum Filmregisseur

Viele mögen das nicht glauben, aber es gehört sehr viel Erfahrung dazu, einen soliden Film zu machen. Ein Film, in dem jede Textzeile, jeder Schnitt und jede Kameraeinstellung einigermaßen sitzt. Wer behauptet, ihm fehlten nur die Mittel, um einen erstklassigen Film zu machen, hat es höchstwahrscheinlich noch nie probiert – und weiß deswegen nicht, welche handwerklichen Fähigkeiten hinter einer simplen Dialogszene stecken.

Filmemacher, die ihr Handwerk von der Pike auf gelernt haben, die hunderte Filme bewusst angeschaut und analysiert haben, die dutzende Ideen ausprobiert und verworfen haben – diese Kreativen sind denjenigen, die mit drei Textzeilen einen Blockbuster prompten wollen, haushoch überlegen. “Wenn man unkreativen Menschen helfen will, kreativ zu sein, muss man ihnen helfen, Kreativität zu kultivieren“, sagt der Therapeut und Autor Leon Tsao, „und nicht ihnen den kreativen Prozess nehmen“. Der Weg dahin steht, dank der Digitalisierung, jedem offen, aber eine Abkürzung gibt es nicht. Walt Disney schuf keine Meisterwerke, obwohl er zehn Jahre zuvor mit simplen Werbefilmchen begann, sondern deswegen.

Dass nun jeder von uns zum Auteur werden kann, ändert daran überhaupt nichts. Der Anspruch an gute Filme wird durch die Konkurrenz eher steigen.

Natürlich könnte AI eines Tages auch die Rolle des Autors und Regisseurs einnehmen. Vielleicht generiert sie für uns dann abends den Film, der zu unserer aktuellen Stimmung und unseren Vorlieben passt, und das in einer soliden Qualität. Allerdings hätten wir dann das Filmemachen nicht demokratisiert, sondern automatisiert.

KI-generierte Videos werden die Arbeit der Filmbranche verändern, genauso wie es schon die Digitalisierung getan hat. Aber sie werden niemanden per Klick zum Filmregisseur machen.


  1. Quelle: AFI|Catalog - Snow White and the Seven Dwarfs↩︎

  2. Im Film „Arielle“, der Disney’s „Goldene 90er“ einleitete, war der Aufwand für die über eine Million Luftbasen so hoch, dass Disney die Arbeit daran an eine externe, chinesische Firma auslagerte. ↩︎

  3. Quelle: How many man hours of animation work went into making a movie like How to Train your Dragon 2 ↩︎

  4. In der Retrospektive ist klar, dass Filme wie Star Wars, Jurassic Park, und Matrix durch die Einheit von Story und Effekten überzeugten – deswegen sind sie heute noch beliebt. Avatar 2 hingegen ist wahrscheinlich der letzte Film gewesen, der nur ufgrund seiner visuellen Machart zum Blockbuster wurde. ↩︎