Ich habe die Aufregung um den Overheadprojektor nie verstanden. Oder um graue Arbeitsblätter, veraltete Schul-PCs, strikte Aufgabenstellungen. Kurz um alles, was Eltern lauthals kritisieren, weil es angeblich zeigt, dass Schule der Realität immer mehr hinterherhängt.
Auch mich macht unser Schulsystem nicht gerade glücklich. In diesem Winter habe meine Familie und ich uns viele weiterführende Schulen angeschaut – mein Sohn kommt in diesem Jahr in die 5. Klasse. – und auch mein Gedanke war: es hat sich wahrlich nichts geändert. Aber damit meine ich nicht die Ausstattung, sondern das System.
Schulbildung funktioniert bei uns seit 100 Jahren gleich, und zwar nach dem Fließbandprinzip: die Kinder werden jedes Jahr von Klasse zu Klasse weitergereicht, weitgehend unabhängig davon, ob sie das Gelernte verinnerlicht haben oder nicht. Dass wir in Deutschland verschiedene Schulformen haben, ist da keine Verbesserung, im Gegenteil. Nun entscheidet sich schon im neunten Lebensjahr eines Kindes, welche schulische, meist auch berufliche, Laufbahn es einschlagen wird.
Die Folge? „Wir lernen in der gleichen Zeit und mit dem Einsatz gleicher Ressourcen nicht besser oder schneller als vor 100 Jahren“, schrieb Isabell Welpe neulich. Alle „Innovationen“, die es in den letzten Jahren gab (und die aufgeregte Eltern fordern) haben nur die Verpackung geändert. Ob eine Lehrkraft den Stoff auf fleckigen Folien, mit Powerpoint-Slides oder gar einem Smartboard präsentiert, macht keinen Unterschied, wenn auf der anderen Seite immer noch dreißig Kinder sitzen. Ebenso wenig wie der unvermeidliche „iPad-Unterricht“, mit dem sich viele Schulen brüsten. Glauben wir ernsthaft, es bereitet unsere Kinder auf irgendetwas vor, wenn sie in der Schule ein Consumer-Device nutzen, dass bereits von Dreijährigen bedient werden kann?
Natürlich hat unser System seine Berechtigung. Die Ressourcen für den Unterricht unserer Kinder sind begrenzt. Die knappste Ressource ist die Zeit der Lehrkraft – und die wird immer knapper. In der letzten Woche wurden an Düsseldorf Gymnasien 2500 Kinder angemeldet, darunter mein Sohn, aber es gibt eigentlich nur 2300 Plätze. Die Lösung ist klar: noch größere Klassen. Noch mehr Fließband. iPad-Unterricht und eine Robotik-AG werden daran nichts ändern.
KI rettet die Schule
Ich prophezeie, dass uns ein radikales Gegenmodell erwartet: jedes Kind erhält einen persönlichen Hauslehrer. Ein Lehrer, der immer Zeit hat und das Kind von oben bis unten kennt – seine Bedürfnisse und Interessen, seine Schwächen und vor allem die Art, wie es am erfolgreichsten lernt. Ein Lehrer, der nie ungeduldig wird, der jede Frage gern beantwortet und bei Problemen ganz ruhig sagt: „Ich erkläre es dir gern noch mal etwas anders …“
Künstliche Intelligenz kann die Aufgabe eines solchen Mentors übernehmen – und nicht erst in Jahrzehnten. Sondern sehr bald. Wer mit ChatGTP ein Thema diskutiert, bekommt schon jetzt einen Vorgeschmack auf die Bildung der nahen Zukunft. Künstliche Intelligenz wird die erste und grundlegendste Innovation des Bildungssystems seit hundert Jahren sein.
Welche Rolle hätte dann noch die Schule? Eine wichtige, aber wir müssen dafür neu definieren, was Unterricht ist.
Lehren statt beibringen
Ein kurzer Blick in meine Kindheit: Ab der fünften Klasse sanken meine Mathenoten mit jedem Zeugnis weiter nach unten, bis sie beim „Mangelhaft“ angekommen waren. Da blieben sie auch erst mal. Der Wendepunkt kam nicht durch den obligatorischen Nachhilfeunterricht, sondern als ich meine Strategie wechselte. Ab der neunten Klasse versuchte ich nicht mehr, den Stoff sofort im Unterricht zu verstehen. Stattdessen kämpfte ich mich zu Hause durch das Textbuch, bis ich wirklich jeden Satz und jedes Beispiel verstanden hatte. Ab dann ging es wieder aufwärts, bis zur vollen Punktzahl in der Abiturprüfung. „Unterricht“ war einfach ein falsches und zu schnelles Format, um mir Quadratische Ergänzung und Kurvendiskussionen beizubringen. Nachdem ich dieses Problem anders gelöst habe, brachte der Unterricht mir aber sehr wohl etwas. Ich lernte dort, die Gesetze anzuwenden und welche Kniffe und Fallstricke es dabei gab. Das machte sogar Spaß.
Natürlich hätte es mir das Leben erleichtert, wenn zu Hause nicht das Mathebuch, sondern eine KI-Lehrerin auf mich gewartet hätte.
Der Unterricht der Zukunft
Wer in Künstlicher Intelligenz eine Bedrohung für das Lernen sieht, weil damit jedes Kind seine Hausaufgaben fälschen kann, übersieht das wahre Potenzial. Der Unterricht der Zukunft kann sich viel mehr auf das konzentrieren, was Schule und Klassenverband eigentlich ausmacht: Diskussionen führen, Probleme aus verschiedenen Sichtweisen betrachten, Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft.
In diesem Unterricht der Zukunft werden Schüler aufblühen. Und viele Lehrkräfte wahrscheinlich ebenso. Von mir aus auch mit dem Overheadprojektor.