Google und Microsoft liefern, im spannendsten Schlagabtausch der jüngeren Internetgeschichte, ihre Vision für die Websuche der Zukunft. Auf den ersten Blick geht es „nur“ um die Frage, ob Googles Monopolstellung wackelt. Viel interessanter ist, ob sich durch die neue Art der Suche das Internet verändern wird.
Die Welt der Suchmaschinen war einst einfach. Einfach und wild. Die ersten Internet-Suchmaschinen berücksichtigten vor allem, wie häufig ein Suchbegriff auf der jeweiligen Seite vorkam. Im Jahr 1995 landete eine Website, die 100 Mal den Begriff „backstreet boys“ enthielt, ziemlich sicher auf Platz 1. Ein Konkurrent hatte diesen Trick schon angewandt? Dann halt 200-mal! In der Suchmaschinenoptimierung (SEO) gilt die Zeit von 1995 bis 2000 als „Wild West Ära“, die vor allem eine Auswirkung hatte: Spam. Und zwar Spam, wie man ihn sich heute nicht mehr vorstellen kann. Seiten, die ohne Sinn und Verstand Keywords aneinander klöppelten und kein bisschen hilfreich waren.
Dann kam die Google-Revolution. Google fand hilfreiche Seiten – mit einer ganzen Reihe von Faktoren, die eben nicht nur den Suchbegriff berücksichtigten. Natürlich versuchten SEOs auch diese Faktoren zu knacken, aber Google feuerte unter der Führung von Matt Cutts, dem „Head of webspam“, immer zurück. Erfolgreich.
Der Google-Algorithmus führte zur ersten großen Flurbereinigung des Internets: Spamseiten sind heute tot oder zumindest unauffindbar. An ihrer Stelle wuchs allerdings etwas anderes. Heute besteht die erste Suchergebnisseite zu 70 % aus Werbung und zum Rest aus dem, was einige den „Dark Forest of the Internet“ nennen.
Ein Wald der Mittelmäßigkeit
Die Suche: „erkältung im anmarsch was tun“ liefert 22.000 Ergebnisse. Die ersten teilen sich die Blogs von shape-republic, imupret und anderen Produkten. Auf Platz 1 landet zahnaerztin-in-hamburg.de (!)
Der „Dark Forest“ des Internets besteht aus Inhalten, die nur Mittel zum Zweck sind. Websitebetreiber holen Suchende mit einigermaßen hilfreichen Inhalten auf ihre Seite (alles andere straft Google ab) und wollen ihnen dann etwas verkaufen. Shakes, Tabletten, ein neues Gebiss.
„Content-Marketing“ heißt diese Disziplin und die Texte dahinter werden oft von sogenannten „Content Farmen“ zusammengeschustert. zahnaerztin-in-hamburg.de hat offensichtlich eine gute Content-Farm beauftragt. Vielleicht hat sie die Farm über eine Suchanfrage wie „Online-Marketing für Zahnärzte“ gefunden, für die es ebenfalls Millionen, von Content-Farmen produzierte, Artikel gibt. Der Dark Forest ist überall.
Google hat die Messlatte für Inhalte erhöht, aber gleichzeitig dazu geführt, dass das Netz von mittelmäßigen und vor allem redundanten Inhalten überflutet wird. Es gibt auf dieser Erde nur sehr wenige Mittel gegen eine Erkältung. Zwangsläufig erzählen die 22.000 Seiten also alle das Gleiche.
„Machen Sie sich darauf gefasst“, mahnte TechCrunch-Gründer Michael Arrington im Jahr 2009, „dass Sie in naher Zukunft fünfmal am Tag McDonalds-Inhalte lesen werden“. Er behielt recht. Statt Abfall (Spam) liefert uns Google jetzt Junk Food: einigermaßen hilfreich, aber selten was Neues.
Das wäre alles noch kein übergroßes Problem – wenn nicht die Revolution „Generativer AI“ ins Haus stände. Modelle wie GTP-3 können tausende Varianten von „Tipps gegen Erkältung“-Artikel produzieren. In wenigen Minuten. Eine eigene Content-Farm, für jeden Websitebetreiber 🥳
Und da diese Modelle auf statistischen Wahrscheinlichkeiten beruhen, werden die produzierten Artikel erst recht alle das Gleiche erzählen. SEO-Experten wie Kevin Indig prophezeien „eine Flut mittelmäßiger Inhalte“.
Das hat für uns, die Suchenden, genau wie in den späten 90ern, negative Konsequenzen. Denn in diesem Wald immergleicher Inhalte wird es immer schwerer sein, etwas wirklich Interessantes zu finden.
Wenn sich nichts ändert. Und damit zu den guten Nachrichten.
AI-Content ist Problem und Lösung zugleich
Glücklicherweise werden Google und sein (neuerlich sehr selbstbewusster) Konkurrent Bing ebenfalls die neuen AI-Möglichkeiten nutzen – und Fragen direkt beantworten.
Die Strategie von Bing ist genial, aber neu ist die Idee nicht: bereits jetzt beantwortet Google viele Fragen direkt („Landeshauptstadt von NRW“) und produziert damit die bei SEOs gefürchteten „No-Click-Searches". Die machen jetzt schon über die Hälfte aller Suchen aus.
Der Anteil dieser Fragen wird zunehmen, vielleicht bald sogar den Hauptanteil stellen. Ich glaube, dass dies zu einer zweiten Flurbereinigung des Internets führen wird. Diesmal muss der Wald der Mittelmäßigkeit dran glauben. Es wird einfach nicht mehr rentabel sein, Content zu veröffentlichen, der nichts zu sagen hat. Also wird dieser Content verschwinden.
Für das Netz – und uns Suchende – ist diese Entwicklung ein Segen.